Wo: Hamburg Sieben Leute stehen vor mir in der Schlange. Ordentlich was los in der Hamburger Kunsthalle an diesem März-Sonntag, und nur eine Kasse besetzt. Also beginnt mein Besuch der Warten-Ausstellung direkt mit – warten. Wer mag das eigentlich? Warten. Es ist doch fast immer nervig. Egal ob beim Arzt, im Supermarkt oder am Flughafen. Ob auf Weihnachten, die Volljährigkeit oder auf Mr. Right. Jeder kennt diesen Zustand, in jedem Alter, und versucht ihn irgendwie zu überbrücken oder durch unterschiedlichste Methoden zu verkürzen. Nur nicht warten, diese schreckliche Ungeduld fühlen und womöglich noch Zeit verplempern. Schließlich ist Zeit Geld und unsere kostbare Lebenszeit begrenzt. Wenn man Glück hat, verbindet sich Warten mit Vorfreude. Oder mit Erleichterung, weil das Warten Zeit verschafft, noch wichtige Informationen zu sammeln oder das richtige Outfit einzukaufen. So betrachtet bringt Warten auch Positives – und kann sich sogar lohnen. Wer andere warten lässt, sitzt definitiv am längeren Hebel, er hat Macht. Doch auch dem Wartenden bleiben mehr Möglichkeiten, als er vielleicht denkt, mit seiner eigenen Wartezeit umzugehen. Er kann sie geplant nutzen oder auch dem Unerwartetem Raum geben. Er kann Neues ausprobieren oder einfach nur sein und die geschenkte Freizeit genießen. „Warten. Zwischen Macht und Möglichkeit“ heißt die Ausstellung deshalb mit vollem Titel und zeigt die Arbeiten von 23 Gegenwartskünstlern. Sie umkreisen das vielschichtige Thema mit Videos, Fotos, Skulpturen, Installationen. Direkt vor dem Museum überrascht eine „Bushaltestelle“ mit originellem Wartehäuschen, das mit Bett und Kühlschrank auch für längere Wartezeiten gerüstet ist. „Wohnen mit Verkehrsanbindung“ betitelt Michael Sailstorfer sein Werk. Im 3. Stock der Galerie der Gegenwart ist der größte Teil der Exponate zu sehen. Hier müssen Angler, Prostituierte und eine Hochschwangere ihre Geduld beweisen. Ursula Schulz-Dornburg zeigt Schwarz-Weiß-Fotografien aus der Serie Bushaltestellen in Armenien (Foto oben: Erevan-Parakar, 2004). Warten muss aber auch eine Gruppe nigerianischer Öl-Arbeiter, die während eines Regengusses unter einer Brücke Schutz sucht. In nahezu unerträglicher Langsamkeit wird ein Moment dieses Wartens auf einem wandfüllenden Bildschirm filmisch in die Länge gezogen – bis er fast etwas Meditatives hat. Einen anderen Raum hat der Künstler Rayyane Tabet ausgefüllt – mit unzähligen Strichlisten. Drei Tage brauchte er dafür. Marko Mijatovic hielt diesen Prozess in einem kurzen Video fest, das sowohl im begleitenden Blog zur Ausstellung als auch auf Youtube zu finden ist. Ceal Floyer filmte eine andere typische Aktion Wartender: zwei ruhige Hände, die ununterbrochen Däumchendrehen. Ein fast schon vergessenes Symbol fürs Warten. Wer heute warten muss, zückt rasch sein Handy. Warten ist in unserer beschleunigten Zeit schlicht aus der Mode gekommen. Dabei wissen wir doch: Gut Ding will Weile haben. Text: Petra Nickisch-Kohnke, März 2017 |
Warten-Programm
Die Kunst des Wartens beherrscht nicht jeder. Das umfangreiche Programm zur Warten-Ausstellung widmet dieser Fertigkeit am 18. Juni 2017 einen ganzen Thementag mit Vorträgen und einer Podiums-diskussion im Warburg-Haus sowie einer Dialogführung in der Kunsthalle. Ursula Schulz-Dornburg kommt am 2. April 2017 zum Gespräch in die Ausstellung. Am 6. April 2017 liest Friederike Gräff aus ihrem Buch „Warten – Erkundungen eines ungeliebten Zustands“. Jeden Samstag und Sonntag finden öffentliche Führungen statt. |